Per Pedal durch Padua

Wer den italienischen Verkehr kennt, weiß, was Chaos heißt. Da benötigt man schon Todesmut und Selbstbewusstsein, um mit dem Fahrrad herumzufahren. Als ich vor einigen Jahren in Rom gelebt habe, war ich mit meinem Rad oft allein zwischen Autos und Vespas unterwegs. Padua ist dagegen eine absolute Fahrradstadt. Sie ist komplett flach und nicht zu groß. So schwingt sich halb Padua täglich auf den Drahtesel. Vor allem die vielen Studenten legen so die Wege zwischen den in der Innenstadt verteilten Instituten zurück.

Auch Rentner, Geschäftsleute im Businesslook und Ordensschwestern strampeln lieber selbst, als mit Auto oder Bus in der morgendlichen Kreisverkehr-Blockade festzustecken. Chaos herrscht hier nämlich trotzdem. Zur allgemeinen italienischen Verkehrsanarchie gesellt sich noch eine gewisse Narrenfreiheit der Fahrradfahrer. Jeder kann machen, was er will, solange er niemandem schadet.

Foto von Sebastian Lay

Für uns war klar: unsere erste große Investition war die Anschaffung von drei gebrauchten Rädern. Valentina fährt aber meistens auf dem Kindersitz mit – vor allem, wenn es schnell gehen muss. Andere Kinder sitzen aber längst nicht immer brav angeschnallt in zertifizierten Fahrradsitzen. Sehr häufig reicht auch ein möglichst gepolstertes Brett über dem Gepäckträger, auf dem der Nachwuchs meist ohne Helm transportiert wird. Fahrradanhänger, die in Deutschland immer mehr zum Trend werden, sieht man hier kaum. Wenn doch, ist von Anschnallpflicht keine Rede. Helme sind sowieso unmodisch und deswegen kein Thema.

Früh übt sich – oder doch nicht?

Die Italiener scheinen allerdings gleichzeitig eine große Angst davor zu haben, ihre Kinder allein auf dem Rad fahren zu lassen. Kinder unter dem Teenageralter sieht man selten auf dem eigenen Fahrrad. Falls doch, haben sie oft noch Stützräder. Bei den Kindern in unserer Nachbarschaft haben wir auch gesehen, warum das so ist. Radfahren wird viel zu selten ernsthaft geübt. Das Fahrrad wird eher als nette Beschäftigung im Hof angeboten, weniger als ernstzunehmende Möglichkeit der Fortbewegung. Dafür reicht auch die Dreirad-Version. Oder das Kind darf zwar schon mit einem richtigen Rad auf dem Spielplatz fahren, aber Oma sitzt daneben und ruft bei jeder Kurve und der kleinsten Bordsteinkante: „Piano! Mach langsam! Fahr nicht so schnell! Du stürzt noch! Nicht so wild! Nicht auf das Gras fahren, das ist so uneben, da kippst du um!“ Da frage ich mich ernsthaft: wie soll ein Kind dabei genug Selbstbewusstsein und ein gutes Gefühl für das Radfahren entwickeln?

Wann die Leute hier Fahrradfahren lernen, ist mir also ein Rätsel. Fakt ist: hier fahren wirklich viele Rad, und so hat Padua für italienische Verhältnisse eine ganz vernünftige Infrastruktur. Mit den ordentlichen Radwegen, extra Fahrradampeln, kostenlosen Aufpump-Stationen und Schlauch-Automaten, wie ich es aus vielen deutschen Städten kenne, kann Padua aber noch lange nicht mithalten. Viele Radwege sind halb aufgerissen, völlig zugewachsen oder enden einfach im Seitenstreifen. Da ist es auch kein Wunder, dass sich die Radfahrer gewisse Freiheiten herausnehmen und fahren, wie sie wollen.


Immerhin – besser als nix!

An jeder Ecke Fahrrad-Skelette

Leider werden hier unglaublich viele Fahrräder geklaut. Soweit ich weiß, gibt es einen florierenden Schwarzmarkt und überall sieht man halbe Räder oder geknackte Schlösser herumliegen. Auch unsere Räder kamen sicherlich nicht über einen ganz legalen Handel in den Laden, in dem wir sie für wirklich wenig Geld gekauft haben. Da die Räder hier alle sehr günstig sind, habe ich im Februar sogar noch zwei weitere gekauft. Nun können alle noch kommenden Gäste die buckeligen Fahrradwege nutzen und sich über die Pflastersteinstraßen der Altstadt kämpfen. Das spart die Ticketpreise und erhöht die Flexibilität.

Am Ende hat der chaotische Verkehr aber auch seine Vorzüge. Zum einen achten alle mehr aufeinander. Zum anderen braucht man nur genug Selbstbewusstsein und ein freundliches Lächeln, dann kommt man mit (fast) allem durch.

 


Der Heilige Georg (oder ein anderer Held) kämpft auf dem Recycling-Fahrrad gegen das Ungetüm Umweltverschutzung.
Straßenkunst an der Via Francesco Marzolo.

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